Gewalt und Bedrohung queerer Menschen und Veranstaltungen in Mitteldeutschland
Der Transgender Day of Remembrance erinnert jährlich am 20. November an die weiter bestehende systematische Gewalt gegenüber trans Personen, nicht-binären Personen sowie Menschen, die nicht in das Zweigeschlechtersystem von Mann und Frau passen.
Malte, Ella – wir denken an euch. Wir denken auch an alle anderen Menschen, die körperliche, psychische oder strukturelle Gewalt aufgrund ihres Geschlechts erleben mussten. Wir denken an alle, die dadurch ihr Leben verloren haben, deren Körper versehrt worden oder deren Gesundheit leidet. Wir denken an all jene, die die Hoffnung verlieren oder kurz davor sind. Wir stehen an eurer Seite.
Als Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland, der in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für geschlechtliche Vielfalt eintritt, möchten wir auch auf die zunehmende Bedrohungslage durch rechtsextreme Akteur*innen in diesen Bundesländern aufmerksam machen. Rechte Strukturen wie z.B. der III. Weg, die Neue Stärke, die Jungen Nationalisten oder die Freien Sachsen waren in diesen Bundesländern schon immer stark, der Fokus auf queere Themen ist dabei aber neu. Besonders in den letzten beiden Jahren nehmen wir wahr, dass gezielte queerfeindliche Mobilisierungen, Sachbeschädigungen oder gewaltsame Übergriffe zunehmen, z.B. im Kontext von CSDs und anderen queeren Veranstaltungen, besonders im ländlichen Raum – Vorfälle gab es zum Beispiel in Altenburg, Döbeln, Dresden, Erfurt, Frankenberg, Gera, Gotha, Halle, Jena, Kahla, Leipzig, Magdeburg, Pirna, Prossen, Radebeul, Schönebeck, Taucha, Torgau, Wurzen, Zwickau. Und viele sind sicherlich nicht bekannt, weil sie undokumentiert bleiben.
So werden immer wieder rechte Gegenveranstaltungen gegen queere Veranstaltungen angemeldet. Es kommt zu Beleidigungen, Störaktionen und teilweise gewalttätigen Übergriffen. Auch queerfeindliche Plakatierungen oder Flyer zeigen, dass das Thema Queerfeindlichkeit auf die Agenda rechter Kräfte gerückt ist. Darüber hinaus werden immer wieder Sachbeschädigungen gemeldet, z.B. werden Regenbogenfahnen gestohlen oder zerstört.
Zeitgleich lässt die AfD in den Sächsischen und Thüringischen Landtagen mit ihren Anfragen Menschen mit Personenstand „divers“ zählen, bringt Anträge zum Verbot von Schulaufklärungsprojekten zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ein oder versucht die Gesundheitsversorgung von jungen trans und nicht-binären Menschen zu verbieten. Und auch Anträge und Anfragen der CDU lassen durchblicken, dass diese Positionen keineswegs nur durch Rechtsextremist*innen getragen werden, sondern bis weit in die bürgerliche Mitte hineinreichen.
Die neonazistische Queerfeindlichkeit ist dabei häufig mit dem Bild der gesunden deutschen Familie verbunden. So hieß die Kundgebung 2022 in Wurzen: „Gegen Genderwahn und Homo-Diktatur – Für deutsche Familien“. Oder die rechte feindliche Agenda wird mit antisemitischem Gedankengut verbunden – „Aus Anne wird Frank – Das ist doch krank“ lautete beispielweise der Titel einer Gegenkundgebung in Döbeln. Oder sie vermischt sich mit rassistischen Ressentiments, etwa bei der wiederholten Grabschändung von Ellas Grab. Das zeigt: Wir können eine Feindlichkeit nicht alleine denken, Menschenfeindlichkeit geht meistens mit anderer Menschenfeindlichkeit Hand in Hand.
Die direkte und teils körperliche Bedrohung durch rechte Kräfte ist dabei nur Teil eines größeren und systemischen Problems von Trans-, Inter- und Queer-Feindlichkeit. So ist davon auszugehen, dass in Deutschland noch immer gesetzliche Schlupflöcher genutzt werden, um medizinisch nicht-notwendige gewaltvolle Operationen an inter Personen vorzunehmen. Geflüchtete tin Personen müssen unter unsicheren Bedingungen leben und sind immer wieder bedroht von gewaltvollen Abschiebungen. Tin Personen können sich auch auf den Schutz durch staatliche Organe nicht verlassen, da es immer wieder zu Diskriminierungen durch Beamt*innen kommt oder diese als Ausführungsorgane selbst Teil eines menschenfeindlichen Asylsystems sind. Auch die vielen feindlichen Passagen im Selbstbestimmungsgesetz sowie die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Übernahme von Kosten für geschlechtsangleichenden Maßnahmen sind Ausdruck eines systemischen Problems.
Allerdings gibt es auch positive Gegenbeispiele. Viele Kleinstädte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beginnen gerade, die Präsenz queerer Menschen, auch im ländlichen Raum, anzuerkennen und symbolisch sichtbar zu machen. Es gab noch nie so viele CSDs, Idahits oder Idahobits und queere Veranstaltungen außerhalb der Großstädte. Und es ist jedes Mal etwas ganz Besonderes bei einem „ersten“ CSD in einer Stadt dabei zu sein. Lokale Netzwerke von queeren Personen gründen sich und organisieren Veranstaltungen oder Gruppentreffen. Positiv zu vermerken ist auch, dass den Neonazis keine großflächigen Mobilisierungen gelungen sind und die Gegenkundgebungen teilweise im einstelligen Bereich besucht waren.
Wir fordern, dass trans, inter, nicht-binäre und queere Menschen sich überall ohne Angst vor Gewalt bewegen können. Wir fordern entsprechende Schutzkonzepte und eine ausreichende Finanzierung von Gewaltschutzprojekten durch staatliche Stellen. Wir fordern den Schutz queerer migrierter und asylsuchender Menschen sowie die Sicherheit queerer jüdischer oder rassifizierter Menschen in Deutschland. Wir fordern das Ende der medizinischen Gewalt an inter Personen.
Als Community müssen wir in diesen Zeiten enger den je zusammenstehen, uns persönlich gegenseitig unterstützen, aber auch politisch miteinander gegen den Backlash kämpfen.
Solidarität ist unsere Stärke. Praktische Solidarität kann bedeuten, zu queeren Veranstaltungen in den ländlichen Raum zu fahren, gemeinsame Anreisen dorthin oder Supportkampagnen für Queers in Not zu organisieren, andere Kämpfe marginalisierter Gruppen zu unterstützen. Als Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland können wir euch Ressourcen zur Verfügung stellen, zum Beispiel Räume für Treffen, Material und Technik für Veranstaltungen, Werbekanäle usw.
Unser Zusammenstehen als Community erfordert auch einen liebevollen Umgang mit uns und anderen. Das bedeutet, einander zuzuhören, eigene Grenzen wahrzunehmen und zu achten – so auch wie die anderer Menschen – und im Fall von Konflikten Verantwortung zu übernehmen und zu verzeihen, auszuhalten, dass wir nicht alle gleich sind und dass das auch nicht das Ziel sein kann. Self- und Community Care sind Akte politischen Widerstands – so sagte es schon Audre Lorde. In diesem Sinne: Lasst uns aufeinander aufpassen!